Report Datenbank php 7.x aufrufen Ballade vom glücklichen Schießer
Rundschau Nr.27, 1965

Ballade vom glücklichen Schießer
Er stand auf der Prospekta Planken
und schaute mit vergnügtem Schwanken
auf seine Schießmaschine hin.
"Dies ist mein ganzer Stolz, mein Reich",
sprach er zu einem Wüstenscheich,
"Gestehe, daß ich glücklich bin!"

Der Scheich, mit langem weißem Barte,
der eines neuen Schusses harrte,
sah tief versonnen über's Meer:
"Du hast der Götter Gunst erfahren,
das Glück, ins Rote Meer zu fahren.
Doch bleibt das Schußglück Dir auch treu
und kracht's bei jedem Schusse neu?
Wer stets vom Glück nur ist umgeben,
dem geht auch mal ein Schuß daneben!"

Da hallt vom Achterdeck ein Schrei:
"Oh Herr, der Schuß, den Ihr gedrücket,
ist uns'rem Auge weit entrücket -
der Gummiball ist längst vorbei!"

Doch kaum, daß dieser Schrei verklang,
da reißt mit Schwung und Tatendrang
der Schießer hoch die Schnur samt Stiel,
daß er fast hintenüberfiel.
Und da! Gewaltig schnellt's empor!
Aus rauhen Kehlen schallt's im Chor:
"Der Schuß, der Schuß, er hat gezündet!
Wie doch der Strom zum Zünder findet!"
Ballade vom glücklichen Schießer
Der Gast sinnt weiter, still versonnen.
Er hat die Kunde wohl vernommen
und staunend sieht er die Fontäne.
(und gar nich mal so eene kleene!)

"Das ging ja grade nochmal gut,
doch bleibe immer auf der Hut,
daß nicht der Schuß vondannen treibt
und sich an einer Klippe reibt!
Denn niemals mehr kannst Du ihn finden,
ist er versunken in den Gründen!"

Kaum, daß dies Wort im Wind verhallt,
es diesmal von der Brücke schallt:
"Der Schuß, er drohte fortzugehen,
ward von Mostafa wohl gesehen
der bergend hält ihn in dem Arm,
er hält ihn sicher, hält ihn warm".

Doch da geschieht's! Im Sturmgebraus,
da reißen ihm die Schüsse aus,
versinken treibend in der Flut -
Der Schießer heult und schreit vor Wut:
Ballade vom glücklichen Schießer
"Maschine stop! Hart Backbord Ruder!
der Schuß ist weg, verdammtes Luder!"
Umsonst ist alles Halten, Drehen,
Patronen sind nicht mehr zu sehen.

Der Schießer peilt durch's Wetzlar-Glas-
versunken in dem kühlen Naß
ruht, aufgelöst von Wassers Kraft,
was so die Reflexionen schafft?

Doch eh' das Unglück ganz ermessen,
ist es schon wieder fast vergesse,
denn an des Ufers hellem Strande
rollt sich im weißen Wüstensande
der Schuß, den sich die Woge raubte,
und den man schon verloren glaubte.

Es lächelt wieder still der Schießer
am Achterdeck, wie ein Genießer
und wendet sich zu seinem Gast:
"Habt Ihr das alles wohl erfaßt?
Bin ich nicht ganz und gar zu preisen?
Seht, selbst wenn alle Schüsse reißen –
nichts wandelt sich bei mir zum Bösen,
ich kann beruhigt weiterdösen."

Ballade vom glücklichen Schießer
Da wendet sich der Scheich mit Grausen
"Bei Dir kann ich nicht länger hausen!
Die Götter wollen Dein Verderben,
fort eil' ich, nicht mit Dir zu sterben.
Dein Freund kann ich nicht länger sein,
denn allzu groß ist so ein Schwein!"
Man bracht ihn mit 'nem Kahn an Land
wo harrend sein Gefolge stand.
Und auf dem Absatz er sich wandte
und rannte, rannte, rannte, rannte...

W. Linder-Bayer