Report Datenbank php 7.x aufrufen Praklaner im Watt
Rundschau Nr.14, 1961
Praklaner im Watt
Seit Wochen ging es im Trupp herum - - - Wattmessungen?!?!?! - - - Jeder fragte jeden: "Weißt Du schon was?" Wiederum vergingen Wochen, aber eines Tages nahm das Gerücht feste Formen an.

Die Deutsche Erdöl-A.G. erteilte den Auftrag: Außenbetrieb Dr. Meixner ab 1. August 1960 Wattmessungen im Raume Büsum.

Vor Beginn des Wattlaufens noch schnell ein kurz es Wochenende, um uns danach mit den besten Wünschen von Muttern in die Nordsee zu stürzen.

Allen, denen es noch nicht bekannt ist, sei gesagt, daß das Watt die Fläche zwischen Küste und See ist, die bei Ebbe ganz oder teilweise trocken liegt, und von den vielverzweigten Rinnen der Gezeitenströme, den Prielen, durchzogen wird.

Wie wir dem Tidenkalender entnahmen, beträgt der mittlere Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser, genannt Tidenhub, in Büsum 3,2 m. Im Meßgebiet Meldorfer Bucht, die unweit von Büsum liegt, mußten wir also mit dem gleichen Tidenhub rechnen. Durch das Marschenbauamt in Heide erfuhren wir, daß das Watt in der Meldorfer Bucht, je nach Wetterlage und Mondphase nur 3 bis 4 Stunden trocken liegt. Für den Antransport der Bohrgeräte, des Sprengstoffes, für unsere seismische Ausrüstung und nicht zuletzt für den Transport unserer Mannschaft mußten wir für die Dauer des Auftrages 4 Fischkutter verschiedener Größe mieten.

Nachdem alle Formalitäten beim Bergamt in Celle, den Deichbau- und Marschenbauämtern, den Fischerei- und Landratsämtern in Heide und Meldorf erledigt waren, konnten wir beginnen.

Die wichtigste Vorarbeit war die Vermessung der Profile. Vor Beginn der seismischen Messungen charterten wir im Hafen von Büsum einen Fischkutter und liefen bei Flut in die Meldorfer Bucht aus. Nach 1 Stunde Fahrt erreichten wir das Meßgebiet in der Meldorfer Bucht. Zur gleichen Zeit hatte wir an Land zwei Peilstationen aufgebaut, mit denen wir in Funksprechverbindung standen. Durch diese Peilstationen ließen wir uns an die Anfangs-, End- und Kreuzungspunkte unserer vorher festgelegten Profile einweisen. An diesen markanten Punkten setzten wir Fußballblasen. Zur Verankerung dienten 4 Ziegelsteine. Sobald das Watt trocken lag, verließ der Vermessungstrupp das Schiff und wanderte zu Fuß von einer Fußballblase zur anderen. An jeder Fußballblase wurde zusätzlich eine 4 m große, rot-weiße Fluchtstange eingerammt, denn auf dem kilometerlangen, pottebenen Watt waren die Fußball blasen auf größere Entfernungen nicht auszumachen. Später gingen wir dazu über, an einzelnen markierten Profil- oder Kreuzungspunkten Pricken einzurammen, denn die 4 m langen Pricken konnte man schon bei Flut mit dem Fischkutter ansteuern und auch bei Ebbe waren sie weithin sichtbar. (Pricke ist der seemännische Ausdruck für dünne grüne Birkenstämme, die 4 m lang sind und in der Küstenschiffahrt zur Markierung von Fahrrinnen dienen.)
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Diese Vermessungsarbeiten im Watt waren sehr von der Witterung abhängig. So mußten wir einmal unverrichteter Dinge mit unserem Fischkutter zum Hafen zurückfahren , da wegen schlechter Sicht ein Anpeilen des Fischkutters durch die Landpeilstationen unmöglich war. Aber nach 3 Tagen hatten wir es geschafft. Während der Vermessungstrupp im Watt arbeitete, war der Meßtechniker eifrig dabei, seine Meßapparatur im Hafen Büsum auf dem als Meßschiff vorgesehenen Kutter fachgerecht einzubauen, denn auch bei stürmischer See durfte nichts von Bord fallen. Nachdem noch viele andere Kleinarbeiten erledigt waren, konnten wir endlich mit dem eigentlichen Meßprogramm beginnen.

Eines Tages dampften wir also mit unserer Flottille, bestehend aus 3 Fischkuttern, einem Motorboot und einem Ruderboot, stolz aus dem Hafen von Büsum in Richtung Meldorfer Bucht. Die gute Ortskenntnis der einheimischen Fischkutterkapitäne kam uns dabei sehr zu Hilfe. Das erste zu schießende Profil konnten wir nur durch Ausnutzen eines Prieles, der sich Steertloch nennt, erreichen. Wir Landratten schwebten dabei immer in Angst, daß wir auf eine Sandbank laufen würden. Glücklicherweise ging immer alles gut.

Die Aufgabe der Kutterkapitäne war, unseren gesamten Außenbetrieb, einschließlich der Bohrgeräte, bei Flut möglichst nahe an die durch Fußballblasen oder Pricken markierten Schußpunkte zu bringen. Dort wurde der Anker geworfen. Und nun mußten wir warten, bis das Watt bei Ebbe trocken war. In der Sprache der Fischer hieß es, das Boot muß sich trocken fallen lassen. Trocken gefallene Fischkutter sahen für uns Infanteristen der Geophysik wie gestrandete Schiffe aus.

In den ersten Tagen unserer 20-tägigen Meßarbeiten waren die Flutzeiten sehr günstig. Wir liefen vom Hafen Büsum vormittags aus und kehrten gegen Abend bei einbrechender Dunkelheit heim. Auf Grund der Verschiebung der Gezeiten lagen später die Abfahrtszeiten um Mitternacht. Das war natürlich weniger angenehm. Dazu kam noch die 16 km lange Anfahrtsstrecke von unserem Standort Hemmingstedt nach Büsum.
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Um dem Verschlafen vorzubeugen, erfanden wir eine neue geräuscharme, aber todsichere Prakla-Spezial-Weckart. Schlafmützen, die nicht gerne erwachen wollten, legten sich eine Bindfadenschlinge um das Handgelenk. Das andere Ende des Bindfadens hing aus dem Fenster bis in Bodennähe. Um das Ende des Fadens sichtbar zu machen, knüpfte man eine Bildzeitung an; denn "Bild" mußte als erste Zeitung dabei sein. Der Feldleiter klapperte nun die einzelnen Langschläfer zu mitternächtlicher Stunde ab und riß an der improvisierten Klingel, bis die ersten unartikulierten Schmerzensschreie ertönten, und im Zimmer das Licht anging.

Nach der Autofahrt von Hemmingstedt nach Büsum suchten sich die unentwegten Schläfer auf dem Kutter ein finsteres Plätzchen, um den unterbrochenen Schlaf fortzusetzen. Das eintönige Tuckern des Dieselmotors war das Schlaflied in dunkler Nacht.

Für die nichtschläfrigen Frühaufsteher hatte das Auslaufen aus dem nächtlichen Hafen von Büsum einen romantischen Reiz. Das gespenstische Aufleuchten des Leuchtfeuers, die vielen roten und grünen Lichter an back- und steuerbord der Schleuse und der Hafeneinfahrt, dazu die nächtliche Beleuchtung der Strandpromenade riefen in uns die Erinnerung an die gruseligen Piratengeschichten des Seeräubers Klaus Störtebeker wach.

Draußen in der Meldorfer Bucht mußten wir oftmals auf die beginnende Dämmerung warten, um die von uns gesetzten Seezeichen (Pricken und auch Fußballblasen) auszumachen. Wir wollten mit dem Meßschiff und den Bohrgeräten möglichst nahe an die Schußpunkte heranzukommen, um bei Niedrigwasser 4 Schußpunkte zu schaffen und vor dem auflaufenden Wasser mit allen Gerätschaften wieder auf den Schiffen zu sein. Nur einmal erwischte eine Sandbank bei ablandigem Wasser einen unserer Kutter. Dieser Kutter kam erst nach 5 Stunden bei der nächsten Flut von der Sandbank los. "Aus Schaden wird man klug", sagt ein Sprichwort, und ich meine, wir wurden es nach diesem Vorfall auch.

Wenn wir glücklich unseren Standort erreicht hatten, ließen sich die Fischkutter trocken fallen. Manchmal dauerte dies einige Stunden. Fröstelnd und gähnend lehnten wir in der Wartezeit dann auch den vom Smutje gutgemeinten, aber nach Öl, Salz und Teer schmeckenden Tee nicht ab.
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Während die Wellen monoton an die Bordwand klatschten, ging das Wasser langsam zurück. Mit einer Stange prüften wir in kurzen Zeitabständen die Wassertiefe. Bei kniehohem Wasser mußte als erster der Schießmeister von Bord, um die Wasserlöcher für die Spülgeräte zu schießen. In solch einem Trichter von 2 m Durchmesser sammelte sich ablaufendes Wasser für unsere Spülbohrgeräte. Nach dem Schießmeister sprangen die Bohrmannschaften ins kühle Naß. Auch das Motorrad mit Beiwagen wurde an Land gehievt, um den Transsport der Gerätschaften zu erleichtern. Auf sandigem Watt war das Motorrad mit Beiwagen ein begehrtes Transportmittel, wenngleich man nur mit 15 km/h dahinschleichen konnte. Die Fischer lachten uns aus, als sie das erste Mal das Motorrad ins Watt mitnehmen mußten. "Dat geit nich" meinten sie kopfschüttelnd. Na, und es ging doch. Freilich, wenn das Motorrad ein mal 2 Minuten stehen bleiben mußte, versank es im durchwässerten Sand 6 - 7 cm und konnte nicht mit eigener Kraft loskommen. Dann half nur Anschieben. Ohne unseren "Dwarslöper" *, so nannten wir scherzhafterweise unser Motorrad mit Beiwagen, hätten wir pro Tide nie 4 Schußpunkte geschafft.

Das Bohren im Watt bereitete keine Schwierigkeiten. Mit Schlauch und Motorpumpe waren in Windeseile 7 Löcher von 11 m Tiefe gebohrt und mit insgesamt 36 kg Seismo-Gelit besetzt. In der Zwischenzeit bauten in hastiger Eile Meßhelfer und alle verfügbaren Mannschaften Kabel und Geophone auf. Jeder Handgriff war vorher eingeübt worden. Es mußte peinlich genau darauf geachtet werden, daß die Geophonanschlüsse nicht mit Salzwasser in Berührung kamen. Da zu benutzten wir 200 Stück Drahtspieße, die wir uns selbst angefertigt hatten. Mit dem Tidenkalender und der Stoppuhr in der Hand trieb der Truppleiter die Mannschaften zur Eile an. "Das Wasser kommt!" war der Schreckensruf, der allen Leuten "Siebenmeilenstiefel-Schnelligkeit" verlieh.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hat uns die ungestüme Macht des Wassers doch einmal ein Schnippchen geschlagen. Das kam so:

Bei Windstille in der Meldorfer Bucht hatten wir anhand des Tidenkalenders ausgerechnet, daß in 1/2 Stunde auflaufendes Wasser das Watt überflutet würde. Wie später aus dem Wetterbericht zu entnehmen war, trieb aufkommender Wind in der mittleren Nordsee das Wasser schneller in die Meldorfer Bucht als wir errechnet hatten. Innerhalb von 10 Minuten hatte die See das Watt knie hoch überschwemmt. Wir mußten die bereits geladenen Schußlöcher unverrichteter Dinge einzeln abschießen und unter Einsatz aller verfügbaren Männer Kabel, Geophone, Drahtspieße, Motorrad mit Beiwagen, Spülgeräte, Schießmaschine und Sprengstoff durch das kniehohe Wasser zum Schiff schleppen. Dank der Einsatzfreudigkeit unserer Leute konnten wir alles ohne Zwischenfallbergen.
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Eine weitere Schwierigkeit bereitete uns das Unterschießen der Priele. In einem Nord -Süd-Profil hatten wir 2 Priele zu überqueren, von denen der große 900 m breit und 10m tief und der kleine Priel 200 m breit und 2,5 m tief war, so daß eine Überquerung zu Fuß völlig unmöglich war.

Nach einem wohlüberlegten Plan gelang es uns dann, den großen Priel zu unterschießen, wobei Entfernungen von annähernd 6 km, gemessen von Schußpunkt zur Auslage, zu überbrücken waren. Dieses Nord-Süd-Profil stellte nämlich die Verbindung zu einem von unserer "Prospekto" geschossenen Seeprofil her. Die Verständigung vom Meßschiff zum Schießmeister und auch die Übertragung des Schußmomentes erfolgte durch Funk.

Wir Seismiker lieben die Priele nicht sehr. Andererseits waren die Priele wiederum nützlich, denn durch diese Fahrrinnen konnten wir verhältnismäßig nahe an unsere Schußpunkte herankommen. Unsere Kutterkapitäne steckten täglich die Fahrrinnen für den nächsten Tag mit langen Pricken aus, um möglichst schnell und sicher am nächsten Tage an die Schußpunkte heranzukommen. Beim Einfahren in kleine Priele, die bekanntlich in keiner Seekarte eingezeichnet sind, mußten alle Mann an Bord darauf achten, daß sich das Schiff in Stromrichtung fallen ließ. Trockenfallen der Schiffe quer zur Stromrichtung des Priels war gefährlich, da bei den 1 m hohen Prielufern das Schiff auseinanderzubrechen drohte. Durch das gute Zusammenwirken aller Beteiligten gelang es uns, die Wattmessungen erfolgreich zu Ende zu führen.

Heute, nachdem schon wieder einige Monate ins Land gezogen sind, müssen wir sagen, die Wattmessung war eine schöne Unterbrechung in unserem Landprogramm. Leider haben uns während der 20 Tage strahlender Sonnenschein, blauer Himmel und ruhiges Wetter gefehlt; aber trotzdem: "Es war 'ne Wucht".

H. Heeger und E. Meixner

* Dwarslöper ist die plattdeutsche Bezeichnung für den Strandkrebs, der häufig im Watt zu finden ist.