PRAKLA-SEISMOS Report 1 / 1976  
 

Nach einem Hundebiß am 7. Mai 1975 im Iran erkrankte unser Mitarbeiter Walter Wächter an Tollwut. Er verstarb an dieser Infektion am 16. Juli 1975 in seinem Heimatort.

In meiner Eigenschaft als Sicherheitsingenieur beauftragte mich die Geschäftsführung nach Möglichkeiten zu suchen, unsere Mitarbeiter in Zukunft vor den Folgen dieser und anderer Infektionen gefahrlos zu schützen. Heute soll über die Tollwutschutzimpfung berichtet werden.

Die Tollwut hat in den letzten Jahren in Mitteleuropa - und insbesondere in Deutschland - eine ziemlich große Verbreitung erfahren. Die Tollwutverseuchung der Wild und Haustiere nimmt zu. Trotzdem spielt sie, verglichen mit vielen anderen Infektionskrankheiten, im zentraleuropäischen Raum nur eine untergeordnete Rolle. In anderen Kontinenten dagegen, so z. B. in Asien und dem Vorderen Orient, gehört die Tollwuterkrankung des Menschen zum täglichen Erfahrungsgut der Ärzte.

Nach Berichten der WHO (World Health Organisation) müssen sich pro Jahr bis zu 1 000 000 Menschen gegen Tollwut impfen lassen. Wenn man in Betracht zieht, daß die Tollwuterkrankung beim Menschen fast ausnahmslos tödlich verläuft - gelegentliche Berichte über die Heilung der Tollwut unterstreichen diesen Sachverhalt - dann läßt diese Zahl erkennen, welche Bedeutung der Schutzimpfung zukommt.

Vor 1974 wurde in Deutschland ein Tollwutimpfstoff verwendet, der nach dem sogenannten "Hempt-Verfahren" hergestellt wurde. Er wurde aus den Gehirnen tollwutkranker Kaninchen gewonnen. Die Schutzkraft dieser Hempt-Vakzine war gering. Der Impfstoff mußte an 21 aufeinanderfolgenden Tagen in die Bauchhaut geimpft werden; er hatte außerdem den Nachteil, daß er häufig Gehirn, Rückenmark-und Nervenentzündungen hervorrief. Dadurch war er der gefährlichste Impfstoff, der in der Humanmedizin in letzter Zeit verwendet wurde. Dieses Gehirngewebevakzin nach Hempt wird deshalb seit 1974 in der Bundesrepublik offiziell nicht mehr für die Impfung empfohlen.

Heute wird in Westdeutschland das in Philadelphia 1968-1970 entwickelte Entenembryo-Vakzin verwendet, das wesentlich ungefährlicher, aber immer noch nicht frei von gefährlichen Nebenwirkungen ist. Auch die Schutzwirkung ist besser als beim Hempt-Vakzin. Zur Behandlung sind nur 14 Injektionen in die Bauchhaut nötig.

Durch intensive Forschungsarbeit ist es in den letzten 10 Jahren gelungen, das Tollwutvirus in hoher Konzen tration auf Gewebekulturen in der Retorte zu züchten. Hierdurch wurde die Voraussetzung geschaffen, eine Tollwut-Vakzine herzustellen, die von vornherein kein Nervengewebe enthält, hochgereinigt ist und angereichert werden kann ; sie ist frei von Fremdeiweiß, enthält also keine Komponenten des Ausgangsgewebes mehr. Als Viruszüchtungssubstrat werden embryonale Zellen humaner Provenienz verwendet.

Seit Ende 1974 wurden in der Bundesrepublik mit dieser neuen Vakzine mehr als 250 Personen mit bestem Erfolg behandelt (Prof. Kuwert u. a., 1975). Insgesamt wurden bisher ca. 5000 Personen aus verschiedenen Ländern mit diesem Impfstoff behandelt, wobei keinerlei Nebenwirkungen beobachtet wurden. Wegen seines hohen Wirkungsgrades genügen 4 Injektionen unter die Haut des Oberarms zur Ausbildung einer soliden Immunität. Der Impfstoff ist unschädlich und eignet sich deshalb auch zur vorbeugenden Impfung gefährdeter Personengruppen. Seit dem Jahresende steht dieser Impfstoff der Behringwerke Herrn Prof. Dr. E. K. Kuwert an der Universität Essen, mit dem ich mich über den gesamten Fragenkomplex ausführlich unterhalten habe, in ausreichender Menge zur Verfügung.

Gewarnt durch den erwähnten Todesfall und aus dem Wunsch heraus, alles zum Schutz unserer Mitarbeiter zu tun, wurde mit Prof. Dr. Kuwert verabredet, allen Mitarbeitern, die in tollwutverseuchten Gebieten des Auslandes eingesetzt werden müssen, die Möglichkeit zu geben, sich gegen die gefährliche Infektion impfen zu lassen. Die erforderliche Impffolge beginnt am Tage "Null"; die weiteren Impfungen haben am dritten: siebenten und einundzwanzigsten Tag zu erfolgen. Am 35. Tag erfolgt dann noch eine Blutabnahme zur Immunkontrolle.

Bisher wurden mit diesem Impfstoff die Kontaktpersonen des akuten Tollwutfalles in Juli vergangenen Jahres und zum Jahresende die für den Einsatz in Algerien und im Iran vorgesehenen Mitarbeiter geimpft.

Wegen der z. Zt. noch hohen Kosten einer Immunisierung (ca. DM 400,-pro Person) ist die prophylaktische Impfung der in Deutschland und Europa eingesetzten Mitarbeiter nicht vorgesehen, zumal im Falle einer Infizierung durch Tierbiß innerhalb von maximal 24 Stunden die Behandlung mit dem neuen Tollwut-Impfstoff wirksam begonnen werden kann.

Die WHO schlägt bei einer Verletzung durch ein tollwutverdächtiges Tier als Erste Hilfe vor: sofortiges Waschen und Spülen der verletzten Stelle mit reichlich Seife und sehr heißem Wasser, Waschmittel mit sehr heißem Wasser oder sehr heißem Wasser allein. Es kann auch eine 2%ige Formalinlösung in heißem Wasser verwendet werden. Das Tollwut-Virus ist sehr pH-und thermolabil. Aber danach sofort zum Arzt!!! Die aktive Immunisierung durch Vakzination muß u. U. in bestimmten Fällen durch die Anwendung von Tollwuthyperimmunserum (HIS) ergänzt werden, mit reichlicher Injektion von HIS-Gammaglobulin um und unter das Wundbett. Gegebenenfalls sollte auch eine Tetanusimpfung erfolgen. Es ist wünschenswert, daß die TW-HIS-Gammaglobulininjektion innerhalb der ersten 24 bis 48 Stunden nach Kontakt mit dem infizierten Tier erfolgt. Die Wirksamkeit dieser passiven (Schutzstoffe müssen im Körper nicht erst entwickelt werden) Immunisierung ist nur bis zur 72. Stunde nach der Infektion möglich, da das Virus später nicht mehr am Eindringen in das zentrale und periphere Nervensystem zu hindern ist.

In der Bundesrepublik stehen TW-Gammaglobulinpräparate vom Pferd und neuerdings auch vom Menschen zur Verfügung. Das Präparat vom Menschen ist dem vom Pferd in der Verträglichkeit und Wirksamkeit bei weitem überlegen. Wenn immer möglich, sollte daher das menschliche Serum verwendet werden. Unverträglichkeitsreaktionen sind hier nicht zu befürchten und die Antikörperwirkung bleibt sehr viel länger erhalten (Halbwertszeit für homologe Gammaglobuline ca. 3 Wochen).

Mit diesen beiden Neuentwicklungen der aktiven und passiven Tollwutschutzimpfung der hochgereinigten und konzentrierten Gewebekulturvakzine einerseits und dem homologen Gammaglobulin andererseits ist -100 Jahre nach Pasteur -die Voraussetzung gegeben, die Tollwut in der Humanmedizin wirksam zu bekämpfen, und unsere Mitarbeiter im Auslandseinsatz wirksam vor dieser bösen Erkrankung zu schützen.

W. Voigt
Verwendete Literatur:
Ärzteblatt Baden-Württemberg Heft 2, Februar 1970
Kuwert, Dr. E., Impfschutz Heute, Ausgabe 1975