PRAKLA-SEISMOS Report 1 / 1975  
 
IST ATOMSTROM FÜR UNS GEFÄHRLICH?
 

Die "Bürgerinitiativen" und Protestdemonstrationen gegen den Bau des Atomkraftwerkes Whyl am Oberrhein im Februar d. J. veranlassen uns, die folgende Notiz des Bundesministeriums des Innern (veröffentlicht in den BMIInformationen) hier abzudrucken:

"Störfälle in Reaktoranlagen, die seit der Neuberufung der Reaktorsicherheits-Kommission (Oktober 1971) auftraten, sind im Fachdienst-,Umwelt' Nr. 35 veröffentlicht worden.
Aus diesen aufgetretenen Störfällen kann gefolgert werden:

  • Störfälle in Kernkraftwerken sind im Vergleich zu konventionellen Industrieanlagen sehr selten.
  • Die Störfallursachen waren in keinem Fall nuklearer Art, sondern traten stets an konventionellen Bauteilen oder durch organisatorische Schwächen auf.
  • Die Störfallfolgen wurden stets durch die vorhandenen und gegen wesentlich schwerwiegendere Störfälle ausgelegten Sicherheitseinrichtungen auf das Innere der Reaktoranlagen begrenzt.
  • In keinem Falle wurde Radioaktivität an die Umgebung unkontrollierbar oder in unzulässigen Mengen abgegeben.
  • In keinem Fall wurde jemand aus der Bevölkerung geschädigt.
  • Im vorliegenden Berichtszeitraum und darüber hinaus während des nun fast 30jährigen Entwicklungszeitraumes von Kernkraftwerken ist kein Störfall aufgetreten, auf Grund dessen an der Sicherheit von Kernreaktoren grundsätzlich gezweifelt werden müßte. Die aufgetretenen Störfälle bewirkten, daß die betreffenden und vergleichbaren Anlagen weiter verbessert wurden und lieferten gleichzeitig einen praktischen Nachweis, daß die technischen und organisatorischen Sicherheitsmaßnahmen sowie die für ihre Kontrolle notwendigen strengen Genehmigungsund Aufsichtsverfahren es ermöglichen, Kernkraftwerke ohne Gefährdung der Öffentlichkeit zu errichten und zu betreiben."

Trotz des z. zt. noch vorhandenen Widerstandes der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland (der sich z. T. auf abenteuerliche Vorstellungen über die Gefährlichkeit der Kernenergie gründet) werden in Zukunft immer mehr Atomkraftwerke gebaut werden um die erforderliche harmonische Entwicklung des Energieangebotes zu garantieren. Inwieweit sind wir als Geophysik-Kontraktorfirma von dieser Entwicklung betroffen? Hierzu zunächst einige Daten:

Der Atomstrom, der heute etwa 3% des Strombedarfs in der Bundesrepublik Deutschland ausmacht, wird i. J. 1980 einen Anteil von 30%, i. J. 1985 einen Anteil von 40% des Gesamtstrombedarfs decken. Zur Zeit liegen die Kosten des Atomstroms um 0,8 Pf/kWh unter den Kosten des mit Heizöl erzeugten Stromes. (Aus "bild der wissenschaft"). Sie werden in Zukunft sicherlich nicht steigen, sondern fallen.

Muß sich also diese Entwicklung auf unsere Firma, die von den Erdölfirmen in erster Linie für das Aufsuchen von Erdöl-und Erdgaslagerstätten eingesetzt wird, nicht ungünstig auswirken? Wird die Kernspaltung - und später die Kernfusion - nicht die Bedeutung der Kohlenwasserstoffe so stark herabsetzen, daß die Explorationstätigkeit auf diese Rohstoffe an Umfang einbüßen wird?

Energiefragen dieser Art sind nicht nur für uns interessant. Sie beschäftigen weite Bevölkerungskreise, besonders seit der "Energiekrise", die ja bekanntlich eine Energiepreiskrise war. Doch alle Untersuchungen, Expertisen und Statistiken weisen in ein und dieselbe Richtung, wenn auch die absoluten Zahlen z. T. nicht unerheblich voreinander abweichen:

Erdöl und Erdgas werden weiterhin zu den begehrtesten Rohstoffen auf dieser Erde gehören und ihre Exploration wird, auch bei weiter steigenden Kosten (gerade wegen des hohen Erdölpreises) immer intensiver betrieben werden. Die Verwendung von Erdöl und Erdgas als Rohstoff in der chemischen Industrie wird allerdings zunehmend an Bedeutung gewinnen und die Vergeudung dieses kostbaren Rohstoffes als Primärenergie zur Erzeugung von Wärme wird immer mehr abnehmen.

Dr. Egon Overbeck, der Vorstandsvorsitzende der Mannesmann AG, sagte auf der "INTERKAMA 1974" dem 6. Kongreß mit Ausstellung für Meßtechnik und Automatik unter anderem:

"Die Sicherheit der Energieversorgung beschäftigt heute Regierungen, Parlamente, Unternehmen und Öffentlichkeit. In den letzten fünfzig Jahren sind zahlreiche Energieprognosen erschienen. Sie alle sagten eine Erschöpfung der nutzbaren Energiequellen für die nahe Zukunft voraus.

Sie alle hatten gemeinsam, daß sie sich - erfreulicherweise - als falsch erwiesen. Heute sind die Untersuchungsmethoden verfeinert und die geologischen Erkenntnisse fortgeschritten. Man darf daher den Aussagen über die Vorräte an freier Energie in den Mineralvorkommen der Erde größeres Vertrauen schenken.

Wir wissen, daß wir noch über große Kohlevorkommen verfügen können, daß demgegenüber aber die Öl-und Erdgasvorräte deutlich geringer sind. So stehen dem augenblicklichen Jahresbedarf von 3 Mrd. t Erdöl nur etwa 90 Mrd. t in normalen Fundstätten gegenüber. Hinzu kommen vielleicht noch je 300 Mrd. t an Ölschiefer und Ölsanden. Diese Vorräte zu erschließen, ist sehr teuer. Es empfiehlt sich also, alle Schritte zu untersuchen, um die Kohlenwasserstoffe als Energiespender besser auszunutzen und sie schließlich durch andere Energiequellen abzulösen.

Aus dem Energieprogramm der Bundesregierung Verbrauch an Primärenergie in Prozenten der Gesamtenergie bzw. SKE (Steinkohleeinheiten)

Der (nach der Prognose für 1985 bekannt gewordene) Energieverbrauch des Jahres 1974 ist als schmale Säule in die Graphik eingezeichnet. Man sieht, daß der Energieverbrauch - entgegen der Erwartung - gegenüber 1973 abgefallen ist.

Die für 1985 vorausgesagten Werte dürften also nicht ganz erreicht werden.

Mehrere Wege sind bekannt. Zwei führen zu gewaltigen Reserven: Die Verwendung der Sonnenstrahlung, die nahezu unerschöpfliche Quelle freier Energie, und die Kernspaltung und später die gesteuerte Kernverschmelzung auch auf der Erde. Die Wege über die Kernenergie dürften den meisten Erfolg versprechen. Energiekrise und Energieverknappung sind Erscheinungen des übergangs und der Anpassung. Diese Anpassung aber kostet Zeit. Viel davon ist schon verloren. Die Industrieländer dürfen einer neuen Kraftwirtschaft keine Barrieren aufrichten, die zu überschreiten noch mehr. Zeit erfordert. Wenn die partielle Substitution des Erdöls nicht rechtzeitig gelingt, muß der Lebensstandard absinken."

Als Beispiel der Planung für die zukünftige Energiesicherung bringen wir in Form einer Graphik Zahlen, die die Bundesregierung Ende des letzten Jahres und Ende Februar 1975 veröffentlicht hat. Darnach wird zwar im Vergleich zum Jahr 1973 der prozentuale Anteil des Erdöls bis 1985 sinken, infolge der Zunahme des Gesamtenergieverbrauchs aber - in Tonnen ausgedrückt - weiter ansteigen (siehe Graphik). Hierbei ist ganz außer Acht gelassen, daß auch der Bedarf an Öl in der Petrochemie weiter ansteigen wird.

Hiermit scheint die Frage nach der Sicherheit unserer Arbeitsplätze unter dem Aspekt des zukünftigen ölbedarfs beantwortet zu sein. Der Trend ist klar. Wenn auch zunächst -durch den Schock der Ölpreiskrise ausgelöst - im Jahre 1974 etwas weniger Erdöl verbraucht worden ist (siehe Graphik), so werden wir in Zukunft nicht weniger, sondern mehr Erdöl und Erdgas fördern müssen, eine Tatsache, die sich auf unsere Gesellschaft nur günstig auswirken kann.

R. Köhler