PRAKLA-SEISMOS Report 1 / 1972  
 
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In der Werkzeitschrift der Preußag AG "Die Schicht" wurde in der Ausgabe 4/71 der anschließende Artikel veröffentlicht. Wir finden diesen Artikel ausgezeichnet und drucken ihn daher ab.

Nach wie vor sind wir der Ansicht, daß Politik nicht Thema der Werkzeitschriften sein kann. Für die Politik sind die Presse und andere Massenmedien zuständig. Wenn es aber um Erscheinungen geht, die unsere gesellschaftliche Substanz in Frage stellen, hat dies mit Politik im eigentlichen Sinne nichts mehr zu tun. Das geht uns alle an und deshalb stellen wir diesen Artikel auch unseren Mitarbeitern zur Diskussion.

  Ich habe die jugendlichen Rebellen satt
"Ich habe die jugendlichen Rebellen satt"  
 
Dies ist die offene Meinung des amerikanischen Universitäts-Professors Dr. K. Ross Toole, Montana. Sie bezieht sich auf. die Verhältnisse in den USA. Trifft sie im Grundsätzlichen auch auf Europa und die Bundesrepublik Deutschland zu? Wir stellen seine Meinung zur Diskussion.

Ich bin neunundvierzig. Es hat mich viele Jahre und ein gehöriges Quantum Schweiß gekostet, dort hinzugelangen, wo ich heute bin -dabei sitze ich in einem ganz gewöhnlichen Vorstadthaus. Ich bin in der Zeit der Weltwirtschaftskrise groß geworden; ich habe vier Jahre durch den Krieg verloren; ich muß mehr als hart arbeiten, ich bin ein "liberal" denkender Mensch; ich halte es mit dem gesunden Menschenverstand, und ich habe Hippies, militante Anarchisten und all den Unsinn gründlich satt.

Ich bin Professor an der Universität Montana, und mich widert es an, mich ständig heruntermachen und zur Selbstbesinnung anhalten zu lassen; ich bin es leid, Nachsicht zu üben und mich um Verständnis zu bemühen (was ja immer meine Aufgabe ist). Ich habe die Nase voll von dem widersinnigen Gehabe der studentischen "Rebellen". Ihre bärtigen Gesichter, ihr schmutziges Haar, ihr Gestank und ihre "Taktik" sind kindisch, aber brutal, naiv, aber gefährlich und Ausdruck einer arroganten Tyrannei - der Tyrannei verzogener Lümmel. Ich weiß, daß die meisten prächtig sind

Als Professor und Vater von sieben Kindern im Alter von sieben bis dreiundzwanzig Jahren habe ich diese neue Generation heranwachsen sehen und weiß, daß die meisten, die dazu gehören, prächtig sind. Aber einige wenige sind das nicht, und das Fatale ist, daß diese Minderheit die Mehrheit an die Wand zu drücken droht. Ich habe für diese Minderheit nichts übrig ; ich bin entsetzt, daß die Mehrheit das alles hinnimmt und sich mißbrauchen läßt. Als angewidertes Mitglied des "Establishments" (ein Schlagwort, mit dem nichts anderes als die "Gesellschaft" gemeint ist) sage ich: Es ist an der Zeit, damit Schluß zu machen.

Wir sind der "jüngeren Generation" schuldig, was alle " älteren Generationen" den Jüngeren schuldig gewesen sind: Liebe, bis zu einem gewissen Grad Schutz und Hilfeund Respekt, wenn sie ihn verdienen. Dagegen hat sie keinen Anspruch auf unsere Seele, unsere private Sphäre, unser ganzes Leben - und vor allem nicht darauf, daß wir oder sie frei von Irrtümern sein müßten.

Jede Generation begeht Fehler; das ist immer so gewesen und wird immer so sein. Auch wir haben unser Teil dazu beigetragen. Aber meine Generation hat Amerika zugleich zum wohlhabendsten Land der Welt gemacht. Sie hat sich beherzt wie noch keine Nation vor ihr an die Lösung eines ungeheuer schwierigen Rassenproblems gemacht. Sie hat der Armut öffentlich den Krieg erklärt, und sie hat ihren Fuß auf den Mond gesetzt; sie hat die Rassentrennung in den Schulen aufgehoben und die Kinderlähmung besiegt; sie hat die wahrscheinlich größte soziale und wirtschaftliche Umwälzung der Geschichte eingeleitet. Sie hat dies alles in Gang gebracht, nicht vollendet. Sie hat sich in der Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Gesellschaftsreform erklärt engagiert, ins Zeug gelegt und fast in Grund und Boden gestrampelt.

Sie hat weniger Fehler begangen als die Generation meines Vaters -oder meines Großvaters oder meines Urgroßvaters. Und ihr größter Fehler ist nicht Vietnam ; ihr größter Fehler ist, daß sie ihre vornehmste Verantwortung abschüttelt und vor der Jugend feige kapituliert.

Jugendliche -die Weisen unserer Zeit? Seit wann spielen Kinder im Lande die erste Geige? Nach welchem Recht und auf Grund welcher Leistungen sollten unreife Jugendliche, denen für Einsicht und Urteil einfach die Jahre fehlen, zu den Weisen unserer Zeit erhoben werden?

Die Psychologen, Pädagogen und Kanzelredner sagen, die Jugend rebelliere gegen unsere veralteten Sitten und moralischen Grundsätze, unseren Materialismus, unsere außenpolitischen Versäumnisse, unsere haarsträubende Inkompetenz in Rassenfragen, unsere engstirnigen Erziehungsmethoden und unsere Blindheit für die elementaren Gebrechen der Gesellschaft. Mumpitz!

Höflichkeit und Respekt vor der Meinung anderer sind nicht bloß Verzierungen auf der Torte der Gesellschaft, sie sind ihre Füllung. Nur zu viele junge Leute sind egozentrische Banausen. Sie wollen nicht zuhören und diskutieren; sie wollen nur niederbrüllen und Steine schleudern. Die Gesellschaft hat Arroganz, hinter der keine nachweisbare Leistung steht, zu allen Zeiten verdammt. Wieso dulden wir dann, daß arrogante Schlote auf unsere Ü̈berzeugungen urinieren und unsere öffentlichen Gebäude besudeln?

Nicht die Polizei kann uns hier helfen; helfen kann - unserer Generation wie ihrer - allein unser Abscheu und unsere Verachtung. Aber wir nehmen dieses Verhalten nicht nur hin, wir honorieren es mit innerer Selbstgeißelung (nicht die anderen, wir sind schuld). Noch größerer Mumpitz! Sensibilität ist keine Erfindung von 1950. Die jungen Leute haben zu allen Zeiten nach den Sternen greifen, frei und ungebunden leben und in neue, noch unerforschte Gebiete vorstoßen wollen. Sie haben immer das unbestimmte Gefühl gehabt, daß etwas sie vom letzten und äußersten Erlebnis trenne - der plötzlichen und vollkommenen Entfaltung des Bewußtseins, der höchsten Erfüllung. Es ist eines der ältesten, süßesten und zugleich bittersten Erlebnisse der Menschheit.

Sollen wir sie sich selbst vergiften lassen? Die jungen Leute von heute haben die Sensibilität nicht erfunden; sie ist nicht ihr Privileg. Und was sie zu erlangen suchen, hat die Menschheit in allen Zeitaltern zu erlangen gesucht. Sollen wir die angebliche Erreichung dieses Ziels durch Drogen darum gutheißen? Wir erlauben ihnen so vieles aus dem vagen Schuldgefühl, daß wir sie ja in die Welt gesetzt haben. Sollten wir sie sich auch selbst vergiften lassen? Was wir brauchen, sind wiederum nicht Polizeirazzien und strengere Gesetze; es ist nichts als Kraft. Die Kraft, ihnen in unserer zopfigen, "mittelalterlichen" Art auseinanderzusetzen, daß auch wir gesucht haben, was sie erstreben ; daß es irgendwo zu finden ist, aber todsicher nicht in Rauschmitteln. Die Gesellschaft, das "Establishment", ist keine fremde, nicht zu ihnen gehörende Sache, die wir den jungen Leuten aufzuoktroyieren versuchen. Sie ist - ebenso wie die Achtzehnjährigen selbst -das Produkt einer vieltausendjährigen Geschichte. Wir wissen, sie ist alles andere als vollkommen. Wir haben sie nicht geschaffen; wir haben es lediglich unternommen, sie zu verändern. Zu erreichen ist das -wenn überhaupt -nur langsam und mühevoll. Und daß Erfolge so klein sind, haben wir mit allen Generationen gemein - der nachwachsenden wird es nicht anders ergehen.

Warum schenken wir, wo wir das wissen, den gewalttätigen Taktikern der neuen Generation so unterwürfig Gehör? Entweder lösen sie alle Probleme noch diese Woche, oder sie schließen sich einer Rotte zerstörungswütiger Paranoiker an. Jugend hat sich von jeher durch ungeduldigen Idealismus ausgezeichnet. Wäre sie anders, so gäbe es keine Veränderung. Aber ungeduldiger Idealismus hat mit Pistolen, Brandbomben, Tumulten, dreister Anmaßung und dem Verlangen nach augenblicklicher Erfüllung aller Wünsche nichts zu tun. Das ist kein Idealismus; das ist kindische Tyrannei.

Das Schlimmste bei alledem ist, daß wir (Professoren und Dozenten vor allem) in einem Anfall von Selbstverleugnung einfach weitermachen, uns entschuldigen, als hätten wir die übel dieser Welt persönlich zu verantworten, und uns so dem Chaos ausliefern. Wir sind die Geführten, nicht die Führer. Und wir sind Narren.

Ich behaupte, daß wir mit der jungen Generation nicht darum Schwierigkeiten haben, weil wir unser Land enttäuscht hätten oder weil wir zu materialistisch oder zu beschränkt wären, sondern allein deshalb, weil wir diese Generation nicht in ihren Grenzen gehalten haben. Wir haben die Macht; uns fehlt der Wille. Wir haben das Recht; wir haben es nicht genutzt.

Wir müssen uns auf die Autorität besinnen Wenn wir uns jetzt auf Polizei, Nationalgarde, Tränengas, Stahlgitter und Händeringen verlassen, werden wir scheitern. Wir müssen verachten, nicht Tränengas einsetzen; wir müssen eine Waffe wieder schätzen lernen, die wir durch harte Arbeit, Fleiß und Mühe erworben haben:
feste Autorität als Eltern, Lehrer, Geschäftsleute, Arbeiter und Politiker. Auf die große Mehrzahl unserer Kinder im Alter von eins bis zwanzig können wir stolz sein. Wir müssen diesen vielen mit der Autorität zur Seite stehen, die wir ihnen wie uns schuldig sind. Schluß mit dem Verzicht auf Verantwortung, Schluß mit dem Infragestellen unserer Reif - und unseres Wirklichkeitssinns!

Den Anfang machen wir am besten zu Hause. Am nötigsten und am nützlichsten aber ist diese Haltung im Augenblick an unseren Hochschulen. Das bedeutet nicht eine Flut drakonischer Verordnungen, ein plötzliches Großreinemachen, eine "neue" Politik. Es bedeutet lediglich, daß die Hochschulen aufhören, immer nur sichergehen zu wollen ; daß sie gegen Krawallmacher nicht mit der Polizei, sondern mit dem Mittel der Relegation vorgehen. Die (heute merkwürdigerweise kaum genutzte) Möglichkeit, Studenten von der Alma mater zu verweisen, gehört zu den ältesten Rechten und Bedürfnissen der Universitätsgemeinschaft.

Zu einfach? Mitnichten. Nur ein altes Verfahren, das wir vergessen zu haben scheinen. Es ist zu geradlinig für Leute, die gern Freudsche Psychoanalyse anwenden würden, zu tatsachenbezogen für "akademische Senate", die auf philosophische Erörterungen erpicht sind, und zu prosaisch für jene, die es nach Selbstverdammungsorgien gelüstet.

Unser Land ist voll anständiger Menschen, die besorgt sind wie ich. Und es ist voller Menschen, die von dem Unsinn genug haben. Wir -das heißt die über Dreißigjährigen : hoch besteuert, geplagt, verwirrt, verdrossen und erschöpft-, wir müssen unsere mühsam errungenen Rechte wieder geltend machen.

Es ist auch unser Land. Wir haben für dieses Land gekämpft, geblutet, geträumt, und wir lieben es. Es ist Zeit, es zurückzufordern.

Berechtigter Nachdruck aus der Monatsschrift "DAS BESTE aus READER'S DIGEST"