Report Datenbank php 7.x aufrufen Flachwasserseismik anno 1923 - 60 Jahre Angewandte Geophysik
Der Arbeitstag eines SEISMOS-Meßtrupps in der Lagune von Tamiahua südlich Tampico in Mexiko
PRAKLA-SEISMOS Report 2 / 81

Flachwasserseismik anno 1923
Im letzten Report berichteten wir über die Initialzündung, die Mintrops Verfahren 1924 in den Vereinigten Staaten ausgelöst hatte. In diesem Heft soll Paul Liebrecht � über einen Meßtag in Mexiko zu Wort kommen. Flachwasserseismik im Juli 1923, vor nun fast 60 Jahren! Ein langer Weg von jener Fähre in der Lagune von Tamiahua bis hin zu einem unserer modernen Flachwassermeßschiffe, wie es die VS MANTA darstellt. -

P. Liebrecht war vor seinem Eintritt in die SEISMOS Feinmechaniker im Geophysikalischen Institut der Universität Göttingen gewesen. Sein Eintritt in die SEISMOS fällt mit deren Gründungstag zusammen: 4. April 1921. Dr. O. Geußenhainer berichtet über seinen Kollegen der allerersten Stunde:

"In P. Liebrecht bekam L. Mintrop eine wertvolle Kraft für den Apparatebau. Liebrecht hatte bereits langjährige und gründliche Erfahrungen in der Erdbebenwarte von Samoa gesammelt, damals deutsche Kolonie. Das Göttinger Geophysikalische Institut hatte auf Samoa eine Erdbebenwarte errichtet, die unter Leitung von Prof. G. Angenheister stand. Von 1910 an hatte dort P. Liebrecht nach den Entwürfen von Prof. E. Wiechert mehrere Seismographen gebaut."

Herrn Direktor Dr. L. Mintrop anläßlich seines Besuches beim 'mexikanischen Trupp' und zur freundlichen Erinnerung zugeeignet von
P. Liebrecht
San Diego, Mexiko, den 16. August 1923

Flachwasserseismik anno 1923
Während der Zeit, in der die Untersuchungen in der Lagune stattfanden, war der Trupp in San Diego, einer Petroleumpumpstation der "Aquila", untergebracht. San Diego liegt 3 km landeinwärts des bei San Gironymo in die Lagune mündenden Carvajal Flusses. Dem Trupp standen als Verkehrs- resp. Transportmittel ein Motorboot zur Verfügung und an den Sprengtagen darüber hinaus eine bei San Diego stationierte Fähre, die dort den Verkehr über den Carvajal Fluß zu gewährleisten hatte. Die Sprengpunkte lagen etwa in der Mitte der Lagune zwischen der 3 km nördlich von San Gironymo gelegenen Bohrung Nr. 6 und der 10 km westlich gelegenen Insel "Isla del Toro". Die Registrierpunkte befanden sich an der Bohrung Nr. 6, bei San Gironymo und auf der Isla del Toro.

Flachwasserseismik anno 1923
Am Morgen eines jeden Sprengtages beluden wir die Fähre an der Laderampe der Pumpstation mit dem notwendigen Material. Die Arbeitskräfte stiegen zu. Dann schleppte unser Motorboot die Fähre zum etwa 300 m entfernten Dynamitlager zwecks Sprengstoffübernahme und schließlich weiter bis zu einer Stelle, wo wir geeigneten Flußkies fanden. Der Kies diente zum Beschweren der ins Wasser zu versenkenden Kiste mit der Sprengladung. Nach diesen Präliminarien tuckerten wir den Fluß hinunter und in die Lagune hinein und dort weiter mit direktem Kurs in Richtung Sprengpunkt. Den hatten wir schon tags zuvor mit einer Flagge gekennzeichnet , die an einem tief in den Lagunengrund gerammten Pfosten befestigt war. Sie diente gleichzeitig als Triangulationspunkt.

Etwa 100 m von dieser Flagge entfernt verankerten wir unsere Fähre. Das war bei ihrer Größe und Schwere (5 x 20 m Bodenfläche) und bei der zumeist steifen Westbrise, dem Wellengang und der Strömung keine Kleinigkeit, zumal der Lagunengrund aus bis zu 60 m tiefem Schlamm bestand, in dem die Anker wenig Halt fanden. Mit vier Ankern und mit tief in den Boden gerammten Bambusstangen gelang es uns in der Regel, die Fähre zu fixieren. Trotzdem wurde sie an einem Tag in kurzer Zeit um 30 m abgetrieben.

Flachwasserseismik anno 1923
Der einmal gewählte Sprengpunkt sollte natürlich beibehalten werden. Allein die Vorarbeiten, einschließlich des Absenkens der Sprengkiste, beanspruchten mehrere Stunden. Danach waren noch weitere Arbeiten durchzuführen, wie das Befestigen der sogenannten 'Schallkiste' über dem Wasser, die Verlegung des elektrischen Zündkabels, das Einmessen der Markierungsflagge mit dem Tachymeter. Es war also unabdingbar, die Fähre fest und unverrückbar zu verankern. War dies gewährleistet, konnten wir mit der Arbeit beginnen.

Flachwasserseismik anno 1923
Erst nagelten wir vier lange Bambusstangen an die Sprengstoffkiste, an denen später die 'Schallkiste' befestigt werden sollte. Dann hängten wir die Kiste mit zwei starken Tauen außen an die Fähre, beschwerten sie mit Eisenstücken und Kies, packten die Sprengladung hinein, schließlich die elektrischen Zündpatronen, füllten die Kiste vollständig mit Kies auf, verschlossen sie mit einem Deckel und senkten sie vorsichtig ab auf den 4 bis 5 m tiefen Grund. Zuletzt befestigten wir die 'Schallkiste' an den aus dem Wasser ragenden Bambusstangen. (In der 'Schallkiste ' wurde synchron mit der Hauptladung eine kleine Sprengladung gezündet. Der Zündmoment - der Abriß - ließ sich dann aus dem am Seismographen eingetroffenen Luftschall und dem (bekannten) Laufweg errechnen. Die Lage des Sendeortes (Wasser) und der Empfangsstation (Land) waren eingemessen. Red.)

Während dieser Arbeiten brachte das Motorboot die Registrierapparatur nebst Zubehör zu den Registrierpunkten. Das Anfahren dieser 5 bis 6 Kilometer entfernten Registrierpunkte und das Aufstellen der Mintrop Stationen - oft mußte wegen des seichten Küstenwassers weit draußen geankert und die Apparaturen entsprechend weit durch das Wasser getragen werden nahmen mehrere Stunden in Anspruch.

Flachwasserseismik anno 1923
War dies alles erledigt, der Sprengstoff auf Grund gesetzt und die Meßstationen registrierbereit, tuckerte das Motorboot zur Fähre zurück und schleppte sie dann vorsichtig von der im Wasser versenkten Sprengstoffkiste weg, etwa 250 m gegen den Wind. Um das Zerreißen der abgespulten Zündleitung zu vermeiden, mußte die Fähre erneut verankert werden. Das Motorboot fuhr darauf zu den Registrierstationen zurück. Die Sprengzeit galt es zu vereinbaren. Sie hatte reichlich bemessen zu sein, um Eventualitäten vorzubeugen, denn das Boot mußte ja wieder die Fähre erreichen, die jetzt als Sprengplattform diente. Indes, keine Zündung versagte je, und fast immer auf die Sekunde genau ging die Ladung hoch, obwohl sie oft bis zu 6 Stunden im Wasser gelegen hatte.

Die Sprengstoffpatronen mit den elektrischen Zündkapseln und die Zuleitungen waren im Quartier vorbereitet worden. Für jede der beiden Sprengladungen, also auch für die kleinere in der 'Schallkiste', wurden zwei Sprengstoffpatronen verwendet. Alle vier Zündkapseln waren parallel geschaltet.

Soweit P. Liebrecht. 58 Jahre sind seitdem vergangen. Heute pflügen Meßschiffe die Meere, ohne Unterlaß poppend und registrierend, vermessen Flachwasserschiffe die Uferräume und Lagunen. Und jene, die auf diesen Schiffen Seismik 'produzieren', haben kaum noch die Zeit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie das einmal losging. Vor 58 Jahren. -

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