Report Datenbank php 7.x aufrufen VS EXPLORA - Meßfahrt im Ross-Meer/Antarktis
PRAKLA-SEISMOS Report 4 / 1980

VS EXPLORA im Ross-Meer Antarktis
Im Report 1/80 haben wir bereits in Kurzform über die Antarktis-Fahrt der EXPLORA und über die Vorbereitungen hierzu berichtet, haben auch ein Foto vom verstärkten Wulstbug des Meßschiffes gezeigt, der sich nach Ansicht von Kapitän H. Wichels gegen Pack- und Treibeis bestens bewährt hat. Nachdem die EXPLORA unter Fahrtleitung von W. Krause schon zwei Jahre vorher in der Weddel-See geophysikalische Messungen durchgeführt und ihre Antarktis-Tauglichkeit bewiesen hatte, stand diesmal das Ross-Meer auf dem Programm. Damals wie heute war die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) unser Auftraggeber, Nur der Fahrtleiter hat gewechselt: G. Müller zeichnete diesmal verantwortlich. Von ihm stammt der folgende Bericht.

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Um die speziellen Probleme einer Antarktisfahrt mit einem vergleichsweise kleinen Schiff wie der EXPLORA auch von der seemännischen Seite her zu würdigen, zitieren wir sehr ausführlich aus einem Artikel, den Kapitän H. Wichels für 'Köhlers Flottenkalender' verfaßte.

Der Großteil der hier gezeigten Fotos stammt von G. Rösen (PRAKLA -SEISMOS) und Dr. F. Tessensohn (BGR). Aber auch Dr. J. Fritsch und J. Kothe (beide BGR) lieferten faszinierende Beiträge. Allen Bildberichtern sei an dieser Stelle herzlichst gedankt.
Die Red.

"Die Dummen fahren zur See - und die ganz Dummen im Winter" , bekennt unser Kapitän H. Wichels, nicht ohne Selbstironie. Die stürmische Fahrt der EXPLORA zum chilenischen Punta Arenas in der Maghellan-Straße mochte ihm diese Erkenntnis eingegeben haben. ln seinem Bericht ist viel von "böigem Schauerwetter", "hoher achterlicher" bzw. "voriger Dünung" die Rede. "Wehe dem, der auf dieser Reise noch keine 'Seebeine' hatte: Rasmus machte uns auch weiterhin das Leben schwer. Auf der Fahrt zur Maghellan-Straße kam hohe nördliche Dünung auf. Unser Schiff holte bei einer Rollperiode von ca. 16 Sekunden bis zu 35 Grad über."

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Punta Arenas. Ein trostloser Hafen. Der berüchtigte 'Williwaha'-Fallwind hatte eingesetzt mit Windstärke 10. In Punta Arenas ging die PRAKLA-SEISMOS-Mannschaft an Bord, auch Dr. J. Fritsch als Vertreter des Auftraggebers. Da noch eine lange Reise bevorstand , mussten alle Treibstofftanks voll gebunkert werden, was nicht weniger als 16 Stunden beanspruchte. Mit Lastkraftwagen waren die benötigten 325 t Diesel herbeizuschaffen.
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Am 10. Januar liefen wir von Punta Arenas aus, passierten Kap Horn und fuhren durch die gefürchtete Drake-Passage. Nach vier Tagen sichteten wir die ersten Eisberge. Der Kurs führte uns an der Westseite des antarktischen Kontinents entlang und nach 10 Tagen waren wir, trotz einiger Ausweichmanöver wegen dichter Treibeisfelder, vor dem Ross-Meer angelangt. Hin und wieder konnten wir Wale beobachten. An manchen Stellen war das Wasser von Krill-Schwärmen rötlich gefärbt. Inzwischen hatten wir Funkkontakt mit der amerikanischen Antarktis-Station McMurdo auf Ross-Island. Von dort bekamen wir Wetter-und Eismeldungen.

H. Wichels berichtet über diesen Fahrtabschnitt:

"Die Packeisgrenze war jedesmal im Radar erkenntlich und verlief in Nordost-Südwest-Richtung. Während der weiteren Fahrt wurden immer wieder Eisberge, Growler und Packeisstücke passiert. Bei der bewegten See und den weißen Schaumkämmen der Wellen war es besonders während der Schneeschauer schwierig, Treibeisstücke rechtzeitig zu erkennen, die sonst für das Schiff bei voller Fahrt eine Gefahr bilden würden. Deshalb war der Ausguck ständig besetzt. Das Schiff hatte aber auf dieser Route keine Eisberührung. Erst kurz vor der Packeisgrenze änderte sich das Wetter wieder schlagartig. Es war fast windstill, die Luft wurde klar - und es lief eine lange, flache Dünung nach Süden".

Am 20. Januar trafen wir an der Nordwest-Ecke des Ross-Meeres im Packeisfeld vor Kap Adare verabredungsgemäß das deutsche Versorgungsschiff SCHEPELSTURM, das von der BGR für die 'German Antarctic North Victorialand Expedition' (GANOVEX) gechartert worden war. Wir hatten für den Versorger Ersatzteile und Post mitgebracht und erhielten als Gegengabe 42 t Treibstoff. Diese Übernahme mußte in relativ ruhigem Wasser geschehen. Wie es dazu kam, schildert uns H. Wichels:

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"Da die SCHEPELSTURM infolge der draußen herrschenden Dünung während eines Hubschrauber-Landemanövers das Packeisfeld zunächst nicht verlassen konnte, drangen wir mit der EXPLORA zunächst ohne SCHEPELSTURM - Assistenz an einer günstig erscheinenden Stelle in den bis unter Land etwa 6 sm breiten Packeisgürtel ein. Das Eis war anfänglich sehr dicht. Doch je weiter die EXPLORA unter Land kam, desto freier wurde das Wasser wieder. Infolge der Dünung war das Eis stark in Bewegung. Große Eisschollen mußten deshalb 'ausmanövriert' werden".
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Und er fährt fort:

"Nachdem die Eisbarriere hinter uns lag und der Schleppversorger SCHEPELSTURM sein Hubschrauber-Manöver beendet hatte, fuhren die beiden Schiffe im Konvoi dicht unter Land zur Robertson Bay. Obwohl das eine geschützte Bucht ist, rollte unser Schiff im Swell, in der bis in die Bucht hinein weiterwirkenden Dünung, noch sehr stark.
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Durch die von Südosten nach Nordwesten stehende Strömung hatte sich das Seegebiet um Kap Adare fast völlig mit Packeis geschlossen. Zudem befanden sich bei der geringen Wassertiefe (geringste gelotete Tiefe 16 m) viele schon früher gestrandete Eisberge unter der Küste.

Nachher erwies sich auch die Rückfahrt ins offene Wasser als unvermutet schwierig, denn die von der SCHEPELSTURM gebrochene Rinne im dichten Packeis war durch große Eisschollen sehr schnell wieder dicht geschlossen. Die EXPLORA wählte deshalb einen größeren Sicherheitsabstand zwischen beiden Schiffen, um bei einem evtl. Vollrückwärtsmanöver jede mögliche Annäherung zu vermeiden und um auch nicht über den Achtersteven ins Eis hineinfahren zu müssen.

Verständlicherweise suchte SCHEPELSTURM den leichtesten Weg durchs Eis. Das hatte oft harte Kursänderungen zur Folge. Somit geriet EXPLORA wiederholt aus der Rinne. Bei dem Manöver, wieder in die Rinne zurückzugelangen, geriet unser Forschungsschiff durch die Strömung manchmal in die bedrohliche Nähe eines gestrandeten Eisberges".
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Zwei Tage später befanden wir uns vor unserem ersten Profil. Nach 20 Stunden intensiver Arbeit auf dem Achterdeck bei Lufttemperaturen um den Gefrierpunkt hatten wir unseren Streamer für antarktisches Wasser (um -1°) getrimmt. Die Messungen konnten beginnen.

Wir führten Reflexions- und Refraktionsmessungen durch und daneben auch noch gravimetrische und magnetische Messungen. Zur Positionsbestimmung fand die Satelliten/Sonar-Doppler-Navigation Verwendung.

Bis auf einzelne Eisberge war das Ross-Meer um diese Jahreszeit - im antarktischen Sommer - eisfrei. In Küstennähe jedoch stießen wir sehr häufig auf Treib- und Packeis. Einmal wurde das Steuerbord – Luftpulser - Array durch eine Eisscholle stark beschädigt, ein anderes Mal schrammte die Kabelendboje gegen einen Eisbrocken, worauf eine Streamerlänge zerriß. Doch diese Schäden waren von den 'Lupus' (Luftpulser-Mechanikern) und den Meßtechnikern bald behoben.
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Für die Navigatoren war es nicht immer einfach, das 3000 Meter lange Kabel durch die Lücken in den stellenweise auftretenden Eisfeldern zu manövrieren. Die Nächte waren inzwischen sehr kurz geworden, es wurde gar nicht mehr dunkel. Der 'Tag' hatte also wirklich 24 Stunden. Die Lufttemperatur sank auf minus vier Grad. Zeitweilig hatten wir eine herrliche Aussicht auf die eisbedeckten antarktischen Berge.

Am 7. Februar 1980 war es schließlich soweit: die EXPLORA befand sich dicht vor dem Ross-Eisschelf auf der südlichsten Position, die je ein deutsches Schiff unseres Wissens erreicht hat, auf 78°12'48" Süd und 175°10'14" West. Hier blies ein kräftiger Wind über den 60 Meter hohen Eisrand. Das Thermometer zeigte minus 12 Grad.

Das Arbeiten an Deck, am Streamer, das Reparieren von Luftpulsern, überhaupt das Ingangbringen der Kanonen bei solchen Temperaturen, war keine leichte Sache und nur zu erfüllen mit Hilfe einiger steifer Grogs. Gefrierendes Spritzwasser überzog das Schiff und alles was darauf war mit einer dicken Eisschicht. Die weiter im Inneren des Ross-Meeres gelegenen Profile konnten hingegen ohne größere Schwierigkeiten vermessen werden. Nur ein einziger Meßtag fiel wegen schlechten Wetters aus.
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Am 21. Februar war mit Profil 110 die Vermessung abgeschlossen. Wir befanden uns bei den Possession Islands vor dem North Victorialand. Nach Einholung der Luftpulser und Streamer brachten wir es nicht übers Herz, die Gegend zu verlasen, ohne vorher den antarktischen Kontinent betreten zu haben. Um 23.05 GMT landeten die ersten EXPLORAner mit einem Schlauchboot, sammelten Gesteinsproben und traten den Pinguinen, Sturmvögeln und Seelöwen Aug ' in Auge gegenüber. Dieser Kurzausflug in eine phantastische Eis- und Tierwelt war für viele von uns der Höhepunkt einer gewiß nicht erlebnisarmen Reise.

Die zehn Tage dauernde Rückfahrt vom Ross-Meer nach Punta Arenas stellte die Schiffsleitung vorschwierige Probleme. Überlassen wir die weitere Schilderung wieder unserem Kapitän:

"Wir waren inzwischen die letzten, die das Ross-Meer verließen. Die späte Jahreszeit machte Eile auch wirklich ratsam. Es war bereits so winterlich, daß es auf dieser Breite von 69° Süd jeden Tag für etwa vier Stunden dunkel wurde. Wegen der zahlreichen Eisberge, Grawler und Eisbergstücke war es aus Gründen der Sicherheit unumgänglich, daß die Brücke mit Ausguck doppelt besetzt wurde. Durch die starken Bewegungen des Schiffes erfüllte der Scheinwerfer im Vormast seine Anforderungen nur bedingt. Erschwerend kam hinzu, daß der Scheinwerfer bei herrschendem Nebel einen Blendeffekt erzeugte. Da aber laufend Wasser übers Vorschiff kam, konnte ein zweiter Scheinwerfer auf der "Monkeyback" leider nicht angebracht werden.

Die Eisstücke die dem Schiff gefährlich werden konnten, wurden bei dem herrschenden Seegang vom Radar nicht geortet. Und auch optisch waren diese weißen Biester wegen der vorhandenen, ebenfalls weißen, Wellenkämme und des hohen Seegangs erst sehr spät zu erkennen".

Auch der Treibstoff wurde knapp. Am 3. März machte die EXPLORA wieder in Punta Arenas fest. Von der Elbmündung bis hierher hatte das Schiff in 52 Tagen 19444 Seemeilen zurückgelegt.

Kapitän H. Wichels und seiner Besatzung gilt an dieser Stelle unser Dank für das große Geschick, mit dem sie uns und das Schiff heil durch alle Fährnisse einer keinesfalls alltäglichen Meßfahrt gesteuert haben.

G. Müller VS EXPLORA im Ross-Meer Antarktis